Die Familie in der Zeit der Weltkriege von 1914 bis 1945

Der Erste Weltkrieg brachte auch für Schlesien tiefe Einschnitte, nicht zuletzt durch Gebietsverluste in Oberschlesien. Viele Richthofens starben an den Fronten des Krieges.

Als ein für das Kaiserreich charakteristisches Mitglied der Familie steht der General Manfred (1855-1939) aus dem Hause Barzdorf. Seine militärische Laufbahn verband sich mit dem Traditionsregiment der Gardes du Corps. Als Offizier dieser Einheit war er als Flügeladjudant dem letzten Kaiser für militärische und repräsentative Dienste persönlich zugeteilt. Der Erste Weltkrieg führte ihn zu den West- und Ostfronten. Seinen Militärdienst beendete er 1918 im Rang des stellvertretenden kommandierenden Generals des Gardecorps in Berlin.

Manfred Karl Ernst Freiherr v. Richthofen (1855-1939), General der Kavallerie

Manfred Freiherr v. Richthofen (1892-1918), genannt der Rote Baron, ist der am meisten bekannte und im kollektiven Gedächtnis bewahrte Repräsentant der Familie. Seiner weltweiten Akzeptanz entsprechend, erschienen  zahlreiche Veröffentlichungen und Filme über ihn. Manfred steht für eine neue Kriegstechnik. Manfred war der erfolgreichste Jagdflieger Deutschlands, der ein Vorbild für seine Kameraden war, aber auch von seinen Gegnern geachtet wurde. Seine Fähigkeiten lagen nicht nur in der mutigen Beherrschung und im umsichtigen Einsatz einer neuen Technik, sondern in seiner Führungskompetenz als Kommodore und der für seine Piloten übernommenen Verantwortung. Die von ihm erprobten Methoden des Fliegens gelten als richtungsweisend für die Ausbildung der Jagdpiloten fort. Die Familie erblickt in Manfred einen beeindruckenden Repräsentanten, der aus der Zeit verstanden und auch als Opfer des Kriegswahnsinns beurteilt werden muss. Kaiserreich und Nationalsozialismus haben versucht, ihn und den Mythos des Roten Barons für ihre Kriegspropaganda zu missbrauchen. Das Jagdgeschwader 71 der Bundesrepublik Deutschland führt seit 1961 die vom Bundespräsidenten verliehene Zusatzbezeichnung „Richthofen“ als Traditionsnamen.


Manfred Freiherr v. Richthofen (1892-1918), der „Rote Baron“, Fliegerass des Ersten Weltkrieges

Sein jüngerer Bruder Lothar Freiherr v. Richthofen (1894-1922) war ihm als Kampfflieger kongenial und gleichermaßen hoch geachtet. Gezeichnet von den Verletzungen dreier Abstürze erlebte Lothar das Kriegsende im Krankenhaus. Im Jahr 1922 stürzte er als Verkehrspilot auf dem Flug von Berlin nach Hamburg infolge eines Maschinenschadens kurz vor der Landung tödlich ab.

Lothar Freiherr v. Richthofen (1894-1922), Fliegerass des Ersten Weltkrieges

Im Ersten Weltkrieg verlor Deutschland über 1,8 Millionen Menschen, zumeist Soldaten, für die in der Tradition der Napoleonischen Kriege Kriegerdenkmäler errichtet wurden, so 1938 in dem mit dem Familiengut verbundenen Dorf Faulbrück. Das Kriegerdenkmal trägt auch die Namen der drei gefallenen Söhne des Gutsbesitzers Karl Hermann (1860-1915), Ober-Faulbrück, Landeshauptmann der Provinz Schlesien: Siegfried (1897-1914), gefallen in Russisch Polen, Gottfried (1895-1915), gefallen in Galizien, Eberhard (1899-1918), gefallen in Frankreich. Die Erinnerungsstätte wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört. Die polnische Kirchengemeinde schickt sich an, mit den in einem aufgegebenen Steinbruch wieder aufgefundenen einzelnen Granitblöcken das Mahnmal neu zu errichten.

Karl Hermann (1860-1915), Landeshauptmann der Provinz Schlesien

Die 1919 von der gewählten Nationalversammlung in Weimar verabschiedete neue Verfassung sollte demokratische Strukturen mit dem Ziel von Einheit und Freiheit bringen. Politische Wirren, Inflation und Weltwirtschaftskrise, Enttäuschungen und mangelnde Identifikation der alten Eliten mit dem neuen Gesellschaftssystem führten zum Scheitern der Weimarer Republik und schufen Nährboden für das Emporkommen des Nationalsozialismus. Das  „Dritte Reich“ ist für Unrecht, Zweiter Weltkrieg und Völkermord verantwortlich und führte Deutschland in die tiefste moralische Krise und in den Untergang. Weltweit verloren 80 Millionen Menschen durch Kriegshandlungen, Kriegsfolgen, Massenverbrechen und Völkermord ihr Leben. Von den eingezogenen deutschen Soldaten verloren 5,3 Millionen ihr Leben.

Auch in unserer Familie waren es nur wenige, die sich mit Überzeugung für die junge Demokratie einsetzten und die Gefahren des Nationalsozialismus erkannten. Die Übereinstimmung in den Grundanschauungen ging in der Familie durch unterschiedliche Wertungen der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung und die Polarisierung des Nationalsozialismus weitgehend verloren. Ein Urteil über einzelne Persönlichkeiten und ihre politische Anschauung zu treffen, steht uns als den Nachgeborenen nicht zu.

Auch für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg seien einige Persönlichkeiten der Familie beispielhaft aufgeführt.

Hartmann Freiherr v. Richthofen (1878-1953), Schloss Gothard, zweiter Sohn von Oswald, des Staatssekretärs des Äußeren, war für die Deutsche Demokratische Partei und den Wahlkreis Rotenburg an der Wümme in der 2. und 3. Wahlperiode Mitglied im Deutschen Reichstag. Prätorius (Peter) Freiherr v. Richthofen (1879-1949), Boguslawitz, vertrat die Deutschnationale Volkspartei in 3 Wahlperioden bis 1930 für den Wahlkreis Breslau im Reichstag. Er war Vorsitzender des Schlesischen Landbundes. Seine landwirtschaftliche Besitzungen entwickelte er zu Mustergütern.

Ernst Freiherr v. Richthofen (1858-1933), Mertschütz, war Landrat, Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und später Mitglied im niederschlesischen Provinziallandtag.

Ernst Freiherr v. Richthofen (1858-1933), Mertschütz, Abgeordneter

Carl (1872-1949), Dr. jur., Kuhnern, war im Bereich der Selbstverwaltung als Vertreter für die Güter Vizepräsident der schlesischen Landwirtschaftskammer.

Carl Freiherr v. Richthofen (1872-1949),
Vizepräsident der Landwirtschaftskammer Schlesiens

Herbert Freiherr v. Richthofen (1879-1952), Dr. jur., trat 1905 in den Auswärtigen Dienst ein. Nach Unterbrechungen war er ab 1921 im Amt, vor 1930 als Vortragender Rat, von 1930 -1936 Gesandter in Kopenhagen, von 1936 bis 1938 Gesandter in Brüssel, schließlich von 1939 bis 1941 Gesandter in Sofia, wo er von Ribbentrop  durch einen regimetreuen Gefolgsmann abgelöst wurde. Im Mai 1945 wurde er von sowjetischen Offizieren verschleppt und erst nach 6-jähriger russischer Gefangenschaft zu 25 Jahren Haft verurteilt. Wie alle Diplomaten wurde er für den Krieg mit verantwortlich gemacht. Nur kurze Zeit nach seiner Verurteilung starb er am 25. Dezember 1951 in einem Lagerkrankenhaus an der Wolga. Die Familie strebt seine Rehabilitierung an und befasst sich mit der Vergabe einer wissenschaftlichen Arbeit zu dieser Persönlichkeit. Herbert stand Olaf Gulbransson, Carl Zuckmayer, Max Liebermann, Max Reinhardt, Gerhard Hauptmann und vielen anderen Größen seiner Zeit nahe. Rudolf Großmann, Maler, Radierer und Lithograf in Berlin, schuf ein Portrait von Herbert.


Herbert ( 1879-1952), Gesandter

Wissenschaftlich tätig in dieser Zeit war Bolko Freiherr v. Richthofen (1899-1983), Mertschütz, Dr. phil., o. Professor für Ur- und Frühgeschichte.

Typische Avantgardisten ihrer Zeit waren die „Richthofen – Schwestern“, Else (1874-1973) und Frieda (1879-1956). Else promovierte als eine der ersten Frauen an deutschen Universitäten zum Dr. phil. Ihr Berufsleben begann sie 1901 bei der neu gebildeten Gewerbeaufsicht in Baden, wo sie sich des Arbeitsschutzes von Fabrikarbeiterinnen annahm. Sie war verheiratet mit Edgar Jaffé, Dr. jur., bayerischer Staatsminister und Professor für Nationalökonomie an der Universität München. Else wurde die Geliebte ihres akademischen Lehrers, des Nationalökonomen Max Weber.

Dr. phil. Elsa Freiin v. Richthofen, verh. Jaffé (1874-1973)

Frieda wurde D. H. Lawrence kongeniale Lebensgefährtin, die Lady Chatterley seines berühmten,  in die Weltliteratur eingegangenen Romans.

Frieda Freiin v. Richthofen, verh. Lawrence (1879-1956)

D.H. Lawrence (1885-1930), Schriftsteller

Als Maler machte sich Heinrich (1889-1986), Riemberg, Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, einen Namen (s. Kunstgalerie Heinrich von Richthofen). Eine begabte Malerin und Buchillustratorin war auch seine Gemahlin Irene geb. Winkel (1891-1941).

Heinrich (1889-1986), Professor an der Kunstakademie Düsseldorf

Irene Frfr. v. Richthofen-Winkel (1891-1941)

Zu den Militärführern des Dritten Reiches ist Wolfram (Ulf) Freiherr v. Richthofen (1895-1945), Dr.-Ing., zu rechnen. Der General der Flieger und Generalfeldmarschall findet bei Militärstrategen vor allem in den USA wegen seiner militärischen Befähigungen Beachtung. Die Folgen seines Befehls als Führer der „Legion Condor“ im spanischen Bürgerkrieg, die baskische Stadt Guernica zu bombardieren, hat Pablo Picasso mit seinem weltberühmten Gemälde „Guernica“ in ergreifender Form zur  Anklage gebracht. Ulf starb an den Folgen einer schweren Erkrankung am 12. Juli 1945 in Bad Ischl.

Wolfram (Ulf) Freiherr v. Richthofen (1895-1945), Generalfeldmarschall

Dieprand Freiherr v. Richthofen (1875-1946), Dr. jur., war von 1939 bis 1942 Vizepräsident des Reichsgerichts in Leipzig (Zuständigkeit Zivilrecht).

Zu erinnern sei an Familienmitglieder, die den Nationalismus ablehnten. Die nationalsozialistischen Ariergesetze führten auch in den Familien des Reichstagsabgeordneten Praetorius (Peter) und seiner Geschwister zu tiefen Verletzungen. Peter zog sich verbittert aus allen öffentlichen Ämtern zurück und widmete sich nur mehr seinen landwirtschaftlichen Unternehmungen.

Wilhelm (1888-1962) hatte während seines Studiums in Oxford den englischen Liberalismuss kennengelernt und ihn in verschiedenen Publikantionen als ein Idealmodell dargestellt. Aus seiner Ablehnung des Nationalsozialismus machte er keinen Hehl. Wilhelm ist durch rechtzeitiges Absetzen nach England der Ermordung durch die Nazis entkommen.

Dr. Wilhelm Freiherr v. Richthofen (1888-1962)

Die „Vermögensverwertungsstelle Oberfinanzpräsidium Berlin“, die jüdisches Eigentum unter Aberkennung der Staatsangehörigkeit der Betroffenen einzog, hat auch Wilhelm ausgebürgert.

Albrecht (1887-1945), Leipitz, stand seinem Freund Graf Michael v. Matuschka, Zentrumspolitiker und Landrat des Kreises Oppeln, nahe. Matuschka wurde wegen der Mitwissenschaft des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1955 angeklagt und zum Tode durch den Strang verurteilt. Albrecht erklärte sich bereit, den „Verräterkindern“ seines ermordeten Freundes beizustehen, ein Zeugnis von Zivilcourage. Albrecht beendete sein Leben selbst beim Einmarsch der Sowjets.

Albrecht Freiherr v. Richthofen (1887-1945)

Sein Bruder Walter (1880-1941), Leipitz und Heidersdorf, machte gegenüber seinem Inspektor keinen Hehl aus seiner Ablehnung Hitlers. Der Wortwechsel hatte ihn so erregt, dass er wenig später an seinem Schreibtisch einem Gehirnschlag erlag.

Walter Freiherr v. Richthofen (1880-1941)

Zu der jüngeren Generation, die Hitler und seine Ideologie ablehnten, gehört Wolf-Manfred (1922-2010), Camerau, Sohn des auch vom System gefeierten Fliegerhelfen Lothar. Es war der Einfluss der von ihm besuchten Internate in Mistroy auf der pommerschen Ostseeinsel Wollin und der Herrenhuter Brüdergemeinschaft in Niesky, sowie vor allem seine Großeltern Graf und Gräfin v. Keyserlingk, befreundet mit Praetorius (Peter) Freiherrn v. Richthofen, die seine sichere Urteilsfähigkeit prägten.

Wolf-Manfred (1922-2010)

Großen Mut mit der Wahl seines Dissertationsthemas „Untersuchungen zur Staatsauffassung des Polybios“ bewies Karl (1916-1958), Damsdorf. Die Arbeit zur Auseinandersetzung des Verhältnisses von Staat und Individuum wurde kriegsbedingt nicht mehr veröffentlicht.

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