Im Januar 1945 trat an der Ostfront des Zweiten Weltkrieges die Rote Armee zu einer großen Offensive an, die im Februar zur völligen Einnahme Schlesiens führte. Auch die Familie v. Richthofen schloss sich der großen Flucht an, von deren Inferno zahlreiche Aufzeichnungen in unserem Archiv Zeugnis geben.
Der Zweite Weltkrieg hat die Familie v. Richthofen ihrer Wurzeln beraubt. Siebzehn Vettern und Cousinen waren im Krieg oder an seinen Folgen ums Leben gekommen. Sie stand am Kriegsende vor der Herausforderung, die Grundsicherung ihres Lebens zu meistern und ihre Zukunft unter Unsicherheit zu planen. Ältere Mitglieder, die nicht mehr aktiv am Krieg teilnahmen, versuchten, mit verbliebenen Kräften und ihren Lebenserfahrungen die Jüngeren zu stützen. Die Hauptlast für die Zukunftsgestaltung ruhte auf den Schultern der Frauen, deren Männer gefallen oder in Kriegsgefangenschaft waren. Alle Richthofens waren sich bewusst, dass nur eine gute Ausbildung das Schicksal zum Besseren wenden könne. Wer ohne einen abgeschlossenen Beruf aus der Kriegszeit heraus ging, bildete sich unter Entbehrungen weiter, ging eine Lehre ein, absolvierte ein Studium oder vollendete oder begann eine Dissertation.
Im Jahre 1961 wurde der Familienverband wiederbegründet. Dank des Wiederaufbaus Deutschlands und seiner Integration in die freie Welt vermochten es die Mitglieder die Familie, sich auf vielfältige Weise zu behaupten und ihre Stellung und ihre Aufgaben in der neuen Zeit zu finden. Mit ihrer Berufs- und Tätigkeitswahl zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes und zur Verwirklichung ihrer Talente beschritten die Familienmitglieder viele neue Wege in Forschung, Lehre, Verwaltung, Medizin, Technik, Kultur, Pädagogik, Flugwesen, Unternehmerschaft u.v.m.
Im Jahre 1992 fand zum ersten Mal wieder ein Familientag in Schlesien statt, eine Wiederbegegnung mit der alten Heimat der Familie und ein Zeichen der Versöhnung mit den polnischen Mitmenschen, die in diesem schönen Land Heimatrechte erworben haben.
Im Gedenken an die Opfer der Terrorherrschaft und des Krieges legte die Familie im Konzentrationslager Groß Rosen einen Kranz vor dem hohen Kreuz nieder. Die Schleife des Kranzes kündete in deutscher und in polnischer Sprache die jüdische Weisheit: „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“.
Die Familie v. Richthofen gehörte zu den Stifterfamilien der Friedenskirche zum Heiligen Geist in Jauer. Diese Kirche erinnert mit ihrem Namen an den Westfälischen Frieden als Ende des Dreißigjährigen Krieges. Zum Zeichen der Versöhnung mit Polen hat unsere Familie unter Leitung und mit unermüdlichem Einsatz von Siegfried die Orgel dieser bedeutenden Kirche wiedererstellen lassen. Nicht zuletzt ist es auch seinem Einsatz mit zu verdanken, dass die beiden Friedenskirchen von Jauer und Schweidnitz 2001 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben wurden.
Den Überblick über die Familiengeschichte v. Richthofen schließen wir, indem wir auch für die jüngste Periode in genealogischer Folge nur an einige wenige erinnern, die inzwischen von uns gegangen sind:
- Eleonore (1923-2005), Damsdorf, Dr. phil., Dr. med., Fachärztin für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe
- Manfred (1931-2012) Barzdorf, Farmer in Angola
- Joachim (1933-2012), Barzdorf, Autor von Bridge-Lehrbüchern
- Götz (1925-2012), Bersdorf, Kaufmann
- Ullo (1894-1971), Gäbersdorf und Faulbrück, langjähriger Vorsitzender des Familienverbandes
Ullo Freiherr v. Richthofen (1894-1971)
- Anna-Elisabeth (1919-2007), Kuhnern, Krankenschwester, langjährige Schriftführerin des Familienverbandes
Anna-Elisabeth (Annali) Freifrau v. Richthofen (1919-2007)
- Bolko (1903-1971), Geschäftsführer des Spielkasinos in Baden Baden
- Wolf-Manfred (1922-2010), Cammerau, Unternehmer in Schweden
- Manfred (1934-2014), Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB), Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees (NOK)
Manfred Frhr. v. Richthofen (1934-2014)
- Klaus-Ferdinand (1941-2012), Dr. jur., Staatssekretär in Hannover
- Herbert (1900-1966), Neidchen, nach dem Krieg Güterverwalter
- Heino (1937-2020), Heinersdorf, Bankier
- Heinz (1904-1976) Plohe, Farmer in Kanada
- Hermann (1933-2021), Neidchen, Botschafter a.D.
- Fritz (1911-1987), Dürrjentsch, PR-Manager
- Kraft (1919-2010), Leipitz, Industriekaufmann
- Wolfgang (1909-2000), Leipitz, Farmer in Kanada
- Erich (1913-1989), Leipitz, Dr. phil. habil., Professor der Romanistik an der Universität Toronto, Ontario
Erich Freiherr v. Richthofen (1913-1989), Leipitz, Professor
Dr. Hermann Freiherr v. Richthofen (1933-2021), Botschafter a.D.
- Oswald (1908-1994), Botschafter, langjähriger Vorsitzender des Familienverbandes
Oswald Freiherr v. Richthofen (1908-1994), Botschafter
- Hartmann (1912-1996), Unternehmer
- Heinz Lothar (1899-1952), Großkaufmann, Konsul der Dominikanischen Republik
Dem Chronisten sei es erlaubt, stellvertretend für alle lebenden Richthofens eine Cousine zu erwähnen, die in Selbstlosigkeit ihr Leben dem Dienst für andere Menschen widmete, Diakonisse Barbara von Richthofen (geb. 1919) aus dem Hause Groß Rosen/Riemberg. Ihr Vorbild seit Jugendtagen war Eva v. Tiele-Winckler, eine herausragende Persönlichkeit der Diakonie, welche die Krankenpflege in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel erlernte. Barbara betrachtete es als ihre Bestimmung, Diakonisse in Bethel zu werden, wo sie 1937 mit 18 Jahren als Helferin ihren Dienst begann und als Vorsteherin der Diakonissenschaft Sarepta altersbedingt beendete.
Diakonisse Barbara von Richthofen (geb. 1919 – 2019)
Die Familie v. Richthofen hat in der letzen Periode ihrer 450 jährigen Geschichte Entwurzlung und Verpflanzung überdauert und sich immer neuen Herausforderungen gestellt.